Telemann, Georg Philipp
Zwölf Fantasien
für Violine solo TWV 40:14-25, hg. von Kolja Lessing
Telemanns Zwölf Fantasien für Violine solo gehören zu den grundlegenden Werken des Violinrepertoires. Im Unterricht viel studiert, sind sie in Konzerten relativ selten zu hören. Immer noch gilt Telemann aufgrund seines umfangreichen Œuvres in allen möglichen Gattungen als Vielschreiber – ein Vorurteil, das die Fülle seiner kompositorischen Kostbarkeiten verkennt. Tatsächlich erweisen sich Telemanns Fantasien in professionellen Darbietungen als wirkungsvolle Stücke. Von den längeren Sonaten und Partiten Johann Sebastian Bachs heben sie sich durch ihre pointierte Kürze ab.
Telemann kondensiert in seinen Fantasien eine Fülle von barocken Satztypen mit vielfältigen Charakteren. Der Herausgeber Kolja Lessing verdeutlicht in seinem instruktiven Vorwort „die faszinierende Janusgestalt dieser Sammlung, die an einer Epochenschwelle gleichsam zurückblickt und in die Zukunft weist“. So finden sich in den Fantasien sowohl kontrapunktische Formen älterer Stilart, Tanzadaptionen des Barock und Diktionen des galanten Stils.
Jede Fantasie besteht aus mehreren prägnanten Sätzen, die teils mit traditionellen Tempoangaben, teils mit speziellen Charakterbezeichnungen (Piacevolmente, Spirituoso, Soave etc.) versehen sind.
Telemann veröffentlichte seine Violinfantasien 1735 im Selbstverlag. Das Autograf und auch dieser frühe Druck sind nicht mehr vorhanden. Als einzige Quelle blieb eine in der Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz aufbewahrte frühe Abschrift erhalten, die auch als Digitalisat online einzusehen ist. Die vorliegende Ausgabe folgt minutiös dieser Abschrift. Anders als etliche bisherige Ausgaben verzichtet sie auf Zusätze, Angleichungen von Artikulationen und andere eigenmächtige Eingriffe des Herausgebers in den Notentext. Ein Kritischer Bericht informiert über alle editorischen Entscheidungen, die bei unklaren oder offenkundig irrigen Schreibweisen getroffen werden mussten.
Wie alle Barockmusik rechnen Telemanns Fantasien mit Ausführenden, die imstande sind, Notentexte nicht nur dynamisch, artikulatorisch und agogisch, sondern auch durch eine fantasievolle, den komponierten musikalischen Charakteren angemessene Verzierungspraxis zu verlebendigen. Zu Letzterer macht der Herausgeber im Anhang für besonders auszierungsbedürftige Stellen Vorschläge. Sie zeigen seine stilistische Versiertheit, die er in jahrzehntelanger pädagogischer und künstlerischer Tätigkeit als Geiger und Lehrer mit den Fantasien Telemanns erworben hat. So verbindet die Ausgabe editorische Zurückhaltung und instruktive Anregungen. Es ist zu hoffen, dass Telemanns Violinfantasien durch diese Edition noch mehr als bisher in Unterricht und Konzert Verbreitung finden.
Ulrich Mahlert