© Almut Gatz

Forster, Michael / Almut Gatz / Florian Öttl

Spielerisch musikalisch denken (lernen)

Ein interdisziplinäres Praxisseminar an der Hochschule für Musik Würzburg

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2023 , Seite 24

Austausch und Kooperation, Erprobung von Neuem und Ungewohntem – interdisziplinäre Unterrichtskonzeption kann beflügeln: Studierende an der Hochschule für Musik Würzburg erkunden die Schnittstellen von EMP, Grundschule und Musiktheorie in einem gemeinsamen Projekt.

Musiktheorie in der Grundschule wird selten in den Blick genommen oder gar gezielt angegangen.1 Und in vielen Studiengängen im Bereich Lehramt Musik gibt es wenig bis keine Didaktik der Musiktheorie; das „Theorie-Praxis-Problem“ muss von den AbsolventInnen später individuell gelöst werden.2 Aus diesem doppelten Desiderat entstand die Idee des im Folgenden beschriebenen und diskutierten Seminarformats.
Im Wintersemester 2021/22 konzipierten Studierende der Würzburger Musikhochschule in einem interdisziplinären Praxisseminar Doppelstunden für den Musikunterricht in den Jahrgangsstufen 3 und 4, deren Ziel es war, musiktheoretische Inhalte mit Methoden der Elementaren Musikpädagogik zu vermitteln. So wurden drei Doppelstunden mit den Schwerpunkten Bigband/Instrumentenkunde, Klangforschung/Hörsensibilisierung und musikalische Form geplant und sowohl in einer Grundschule als auch mit einer kleineren Gruppe von Kindern als „Kinder-Uni“-Angebot in der Musikhochschule durchgeführt.

Vorüberlegungen

Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass Kinder neugierig sind, ihre Umwelt erkunden sowie Zustände und Zusammenhänge verstehen wollen.3 Das gilt auch für abstrakte Inhalte wie musikalische Strukturen. Musiktheoretisches Verständnis kann aber nicht ohne Erfahrungs- und Handlungswissen entstehen. Daher gilt es, Strukturmerkmale von Musik zunächst sinnlich und praktisch erlebbar zu machen, bevor Kinder Begriffe und Zeichen kennenlernen.4
Werner Jank betont die zentrale Stellung des Handelns für jegliches Lernen: „Unverzichtbar ist die Verbindung des Musizierens mit der Vielfalt verschiedener Umgangsweisen mit Musik: Musikhören, Tanzen zu Musik, Musik in andere Darstellungsformen umsetzen, über Musik sprechen u. v. m.“5 Allerdings bedarf die ästhetische Erfahrung – ob bei Rezeption, Produktion oder Reproduktion von Musik – der Reflexion, sonst bleibt sie „blind“.6 Nach Peter W. Schatt kann unter Musik-Verstehen nicht nur das „Erfassen der strukturellen Zusammenhänge“ fallen, sondern ebenso „intuitives gestisches Erfassen und Begreifen“, individuelle Bedeutungszuweisung, praktische Interpretation von und sich Einlassen auf Musik.7
In der Unterrichtssituation sollte die Lust für das Entdecken und Herausfinden geweckt werden. Mit der Zielsetzung, dass die Kinder den Lernprozess auch als persönliche Bereicherung empfinden, stellt sich die Frage nach Anknüpfungspunkten an deren Lebenswelten. Juliane Ribke schlägt hier eine Emotionalisierung von Sachverhalten vor, die sich wesentlich auf die Motivation der Kinder auswirkt.8 Zudem brauchen Kinder vielfältige Möglichkeiten, sich mit den angebotenen Inhalten identifizieren zu können. Dies gelingt mit dem Einbringen eigener Ideen, herausfordernden Aufgabenstellungen und gemeinschaftlichen Erlebnissen. In die Musikpraxis integrierte Reflexion – etwa durch Verbalisierung des subjektiven Erlebens oder durch Übertragung in grafische, gestische Formen u. Ä. – kann die musikalische Erfahrung vertiefen und die kognitive Durchdringung und Auseinandersetzung auch mit strukturellen Aspekten von Musik anregen.

 

Zusatzdateien zum Beitrag:

Befragung der SchülerInnen: Kategorisierung der Antworten und Beispiele

Befragung der Teilnehmenden des Praxisseminars

1 So waren etwa im 2020 gegründeten Arbeitskreis Musiktheorie beim Bundesverband Musikunterricht (BMU) zunächst keine Grundschullehrkräfte vertreten, gleichzeitig besteht im Arbeitskreis ein breiter Konsens, dass „Nachdenken über Musik“ von Anfang an dazugehören müsste – und entsprechend auch eine Arbeitsgruppe Grundschule.
2 vgl. Gatz, Almut/Schlothfeldt, Matthias: „Musiktheorie in der Musiklehrer:innenbildung“, in: Clausen, Bernd/ Sammer, Gerhard (Hg.): Musiklehrer:innenbildung. Der Student Life Cycle im Blick musikpädagogischer Forschung, Münster 2023, S. 78, 84, 90 f.
3 vgl. Dartsch, Michael/Savage-Kroll, Camille/Schmidt, Kitty/Steffen-Wittek, Marianne/Stiller, Barbara/Vogel, Corinna: Timpano. Konzept. Elementare Musikpraxis in Themenkreisen für Kinder von 0 bis 10, Kassel 2016, S. 54.
4 vgl. Grüner, Micaela/Nykrin, Rudolf/Widmer, Manuela (Hg.): Musik und Tanz für Kinder. Unterrichtswerk zur Früherziehung. Lehrerkommentar zum zweiten Unterrichtsjahr, Mainz 2008, S. 48.
5 Jank, Werner: „Musik aufbauend lernen“, in: Greuel, Thomas/Kranefeld, Ulrike/Szczepaniak, Elke (Hg.): ­Jedem Kind (s)ein Instrument. Die Musikschule in der Grundschule, Aachen 2010, S. 142, vgl. auch S. 135.
6 vgl. etwa Heß, Frauke: „Experimentieren im Musikunterricht. Ergebnisoffen, aber nicht ,ins Blaue‘“, in: Grundschule Musik, Nr. 55, Hannover 2010, S. 4 f.
7 Schatt, Peter W.: Einführung in die Musikpädagogik, Darmstadt 2016, S. 47.
8 vgl. Ribke, Juliane: Elementare Musikpädagogik. Persönlichkeitsbildung als musikerzieherisches Konzept, Regensburg 1995, S. 198.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2023.